Donnerstag, 27. November 2008

Oasen gegen die Anonymität

Nachmittag fährt uns Felipe zwei Stunden ins Landesinnere und wir treffen zwei Schwestern aus unserer Diözese: "Ich bin schon längst mehr Peruanerin als Deutsche", bekennt Sr. Consilia, die aus Steinach stammt. Als sie vor 44 Jahren als 23-Jährige begann, waren fast alle Schwestern Deutsche. Mit Nachdruck setzte sie sich dafür ein, dass spanisch gesprochen wird, wenn eine peruanische Schwester am Tisch sitzt. Jetzt sind es noch wenige Deutsche und die jungen peruanischen Schwestern studieren in Deutschland und Spanien und kehren nach Peru zurück.
Schwester Salesiana aus Immenreuth ist für den Betrieb des Exerzitienhauses mitzuständig - eine geistliche Oase. Durch die Sonntagszeitung und den wöchentlichen Email-Kontakt mit ihrem Bruder zuhause kann sie mir viel erzählen über Pfarrei und Dorf.

Es sollte nicht die letzte Oase sein. Denn abends ist für die "Missioneros" ein großes Ereignis: drei Ewige Professen. Aber wo! Ventanilla wurde uns als Armenviertel angekündigt, doch die Ecke des Viertels, in die wir kommen, besteht nur aus Hütten auf Sand auf einem steilen Hügel. Später hat die Stadt Strom und regelmäßig aufgefüllte Wassertonnen organisiert. Im Gegensatz zum Viertel des Vormittags ist dieses "junge Dorf" genannte Viertel erst vor etwa acht Jahren entstanden. Arm sind die Menschen, doch Gewalt ist (noch?) kein Thema.
Am unteren Ende haben die Missioneros mit Hilfe unserer Diözese und des Kolping-Diözesanverbandes ein Pfarrzentrum errichtet: Kirche, Pfarrsaal, Pfarrhaus.
Die Leute kommen, nicht nur Angehörige der drei Missioneros, auch viele Mütter und Kinder. Ein übergroßes Bild an der Fassade begrüßt den Bischof.
Die liturgische Arbeit ist auch Sozialarbeit: 42 Kinder zwängen sich auf die relativ kleine Empore zum guten Kinderchor, alle haben sie einen weißen Umhang, den sie nachher voller Stolz zeigen.
Die Kinder im Volk bekommen Luftballons mit in die Bank, die bis zum Ende alle das tun, was Ballons zu tun pflegen. Keinen stört es, auch nicht ein Dauermurmeln der Kinder. Sie gehören einfach dazu.
Gleich am Anfang der Messe werden die Kandidaten aufgerufen und antworten frisch und deutlich: "Presente", "Hier bin ich". Bischof Gerhard Ludwig lobt die Präsenz der Missioneros und spricht ihnen in einer auf spanisch frei gehaltenen Predigt Mut zu. Bewusst verbindet diese Kongregation die sozial schwierigsten Pfarreien (zur Pfarrei am vormittag nehmen die Patres schon mal aus Angst die Brille ab, wenn sie sie betreten) mit fröhlicher und feierlicher Liturgie: eine Quelle der Freude und der Hoffnung in der oft trostlosen Situation.
Tags darauf erzählt uns ein Pater von seinen Prinzipien der Pfarreiarbeit: Identität stiften, die Leute rausholen aus der Anonymität, ihnen zeigen, wie wertvoll sie als von Gott geliebte Kinder in der weltumspannenden Familie der Kirche sind.
Auch an diesem Abend sehe ich fast nur Mütter, die Kinder dabei haben, keine Väter. "Die Ehe ist in Peru schwach entwickelt," erklärt uns diplomatisch ein Pater und fügt hinzu, dass 50% der Kinder ohne Vater aufwachsen.
Michael Fuchs